Jobfrust
Viele Leute haben eine Krankenhausphobie.
Das ist, seltsam, wie die allermeisten Phobien hat sie keinen rationalen Hintergrund und das Krankenhaus steht nur stellvertretend für ganz andere Ängste. Der Angst krank zu sein und sterben zu müssen zum Beispiel. Gerade letzteres ist bei vielen Menschen in unserer heutigen Zeit so tief verwurzelt, dass es absolut skurrile Ausmaße annimmt. Ich arbeite als Krankenschwester und wenn ich sehe, wie viele Leute heute einsam und alleine in einem Krankenhaus sterben macht mich das wirklich traurig. Der Tod ist etwas schmutziges, etwas, dass man verstecken muss, was nicht in die Öffentlichkeit gehört. Und er ist etwas, was nicht sein darf.
Komisch, oder, wo er uns doch alle betrifft? Niemand von uns lebt ewig, wir alle müssen sterben. Eine Floskel, die jeder mal kurz abnickt, aber anscheinend kaum noch jemand wirklich realisiert. Wie wenig erkenne ich immer wieder, gerade wenn ich mit Angehörigen konfrontiert bin. Was dabei oft auffällt: Der Mensch muss leben. Um jeden Preis, vollkommen egal wie elend er dahin siecht, ist es auch nur irgendwie möglich ein paar Tage oder Wochen rauszuschlagen, dann werden alle Register gezogen.

Mich erschreckt es dabei am allermeisten, dass es so vielen Verwandten oft sehr wenig interessiert, dass da eine Hülle liegt, die bis zum Rand angefüllt ist mit Schmerz. Es ist egal. Hauptsache der Mensch ist nicht Tod. Es handelt sich dabei um eine vollkommen egoistische Handlung, man tut nicht das, was für den Sterbenden am besten ist. Nur das Gefühl haben, er ist noch da. Dann geht man kurz mal in das Zimmer, weint eine Runde und verzieht sich wieder, weil man „den Anblick nicht ertragen kann“. Es tut mir Leid, aber ich empfinde das als fürchterliche Charakterschwäche. Wir reden so viel über asoziales Verhalten, aber unsere Kranken, Alten und Sterbenden wegsperren und alleine lassen, das ist vollkommen in Ordnung. Man übergibt sie Fremden, die kümmern sich schon darum. Man zwingt Ärzte und Krankenschwestern gegen ihr eigenes moralisches Empfinden zu handeln und noch Eingriffe vorzunehmen, die eigentlich absolut keinen Nutzen mehr haben. Therapien, die das Leiden nur verlängern.

Fragt man medizinisches Personal wird jeder, selbst solche, die erst kurz dabei sind, von Fällen berichten können, in denen man aus tiefster Inbrunst gebetet hat, dass Patient XY nicht ausgerechnet dann einen Kreislaufstillstand bekommt, wenn man gerade im Zimmer ist. Man will ihn nicht reanimieren müssen. Nicht aus Faulheit, oder Bequemlichkeit. Oder weil wir ja alle Todesengel sind. Blödsinn. Es geht um den moralischen Gewissenskonflikt menschliches Leiden unnatürlich zu verlängern. Wir kennen die Diagnosen, wir wissen wo es endet. Und gönnen es den Leuten aus tiefstem Herzen sich nicht noch länger quälen zu müssen. „Bitte, bitte, stirb zwischen den Rundgängen, schleich dich davon, zwing mich nicht den Notruf auszulösen. Wir halten dich hier, wir haben die Mittel. Mit Strom und Maschienen und Chemie halten wir dich am Leben, bis irgendwer sich endlich ein Herz fasst und den Stecker zieht, damit du gehen kannst. Tu dir das nicht an.“ Traurige Gedanken, aber für mich als Krankenschwester auf einer geriatrischen Abteilung Alltag.

Es gibt einen Ethikkodex für Pflegende, in denen steht, dass wir vier Aufgaben haben:

1. Gesundheit zu fördern,
2. Krankheit zu verhüten,
3. Gesundheit wiederherzustellen,
4. Leiden zu lindern.

Nun, das liest sich wirklich wunderschön. Noch besser wäre es natürlich, wenn man uns die Chance geben würde tatsächlich so zu arbeiten. Vor allem der letzte Punkt kommt oft viel zu kurz.